Mittwoch, 1. März 2017
Can I tell you a Story?
Kapitel 1


Endlich!
Seit Monaten bin ich nicht mehr hier gewesen. Wie habe ich nur das Gewusel an diesem Bahnhof vermisst. Die vielen Menschen unterschiedlichster Kulturen, die vielen Geräusche und Gerüche (meist leider eher unangenehme...).
Der Bahnhof meiner Heimatstadt ist fast immer menschenleer. Aber durch das viele Zug fahren habe ich mich, Gott sei Dank, an die großen Menschenmengen gewöhnt. Als ich das erste Mal diesen Bahnhof betreten habe, war ich von den vielen Menschen, die rücksichtslos über den Bahnsteig hetzten, völlig überwältigt.
Mittlerweile fehlt mir dieses hektische Gedränge immer mehr. Nicht weil ich es mag von fluchenden, gestressten Menschen umgeben zu sein, sonder weil ich, wenn ich hier am Bahnhof bin, nur noch 30 Minuten mit dem Bus brauche um "zuhause" zu sein.
Ich trete auf den Bahnsteig, atme kurz tief ein und mache mich dann auf den Weg zur Bushaltestelle. Zuerst muss ich mich durch die ebenfalls ausgestiegenen Menschen schieben, die von Freunden, Verwandten oder ihren Partern abgeholt werden. Und wieder denke ich an ihn. Ich wünsche mir nichts mehr als das er mich auch einmal vom Bahnhof abholt. Aber das wird wahrscheinlich für immer nur ein dummer Traum bleiben. Ich erreiche die Treppe, die zur Unterführung führt. Ich umgreife den Henkel meiner Handtasche fester und hebe meinen Koffer so, dass ich ihn die Treppe herrunter tragen kann. Unten angekommen erwarten mich stickige Luft, gestresste Menschen und viele Polizisten. Ich eile den Gang hinunter zu einer weiteren Treppe, die mich aus dem Gebäude führt.
Draußen angekommen bleibe ich kurz stehen. Die Sonne scheint und wärmt meine Wangen. Ich überquere die Straße und bemerke, dass mein Bus in wenigen Minuten kommt. Ich schaue kurz auf mein Handy und schreibe Pheobe eine kurze Nachricht, dass ich jetzt auf den Bus warte. Sie schreibt sofort zurück und sagt mir, dass ich mich heute Abend bei ihr melden soll, ob er da ist und ob ich schon mit ihm gesprochen hätte. Wie froh ich bin, dass ich sie habe! Ohne sie hätte ich die letzten Monate nicht überlebt.
Kaum habe ich mein Handy in meine Manteltasche sinken lassen kommt auch schon der Bus. Ich ziehe mein Ticket aus der Tasche und besteige den Bus. Der Busfahrer nickt kurz das Ticket ab und ich suche mir weit hinten einen Platz. Als der Bus los fährt hoffe ich, noch irgendwo sein Auto zu entdecken. Vielleicht holt er mich ja doch ab. Oder er steigt bei der nächsten Haltestelle auch in den Bus. Aber leider wird auch diese Fantasie nicht wahr.

Also steige ich 30 Minuten später in dem mir gut bekannten Stadtteil aus und laufe zu ihrem Haus. Viel zu oft war ich hier. Hier wohnt Maddie. Meine beste Freundin mit ihren Eltern, Julia und Jonas, und ihrem großen Bruder, Finn. Ich bin viel zu aufgeregt. Mein Herz schlägt so kräftig, dass ich das Gefühl habe es springt mir gleich aus der Brust. Mir ist schwindelig und schlecht. Auf meiner haut liegt eine dünne Schicht Schweiß. Was macht er nur mit mir.
Ich drücke den Klingelknopf. Erst jetzt fällt mir auf, dass gar kein Auto in der Einfahrt steht. Hoffentlich ist überhaupt jemand da. Ich hätte mich vorher anmelden sollen! Aber zuhause war es mal wieder so schlimm, da habe ich es keine Minute länger ausgehalten.
Ich höre erst wie jemand die Treppe herrunter hüpft und dann, wie jemand mit schweren Schritten die Treppe herrunter poltert. Ich muss grinsen. Keine Sekunde später reißt Maddie die Tür auf und schaut mich an als wäre ich ein Gespenst.
"Ja was? Sehe ich so schlim aus?!" Ich muss lachen, Maddie rutscht die Kinnlade herunter.
"Lola! Was machst du denn hier?"
Sie umarmt mich stürmisch und mir steigen die Tränen in die Augen. Wie hab ich sie nur vermisst. Ich kenne sie seit Ewigkeiten und sie ist meine beste Freundin. Erst jetzt, über Maddies Schulter sehe ich ihn. Er trägt eine schwarze Jogginghose mit weißem Sneakersocken und ein ausgewaschenes, dunkelblaues T-Shirt seines Lieblingslables.
Etwas verdutzt schaut er mich an. Ich versuche in seinen Augen zu lesen was er denkt. Ob er sich über meinen Besuch freut oder ob er mich so schnell wie Möglich wieder los werden will?
Maddie hat mich inzwischen losgelassen und zieht mich an der Hand ins Haus. Ich stelle meinen Koffer in den Flur und begrüße auch Finn. Von ihm bekomme ich ein kurzes Nicken und ein
"Was willst du denn hier?!"
Ich entschuldige mich, dass ich so plötzlich unangemeldet Auftauche und sage, dass ich auch zu meiner Tante, die drei Straßen weiter wohnt, gehen kann.
Maddie schüttelt den Kopf. "Du schläfst natürlich hier! Zieh dir erstmal den Mantel und die Schuhe aus und dann erzählst du mir was wieder los war."
"Tut mir wirklich Leid! Ich konnte nicht anders..." Sage ich, eher in seine Richtung anstatt zu Maddie und mache mich dann schnell dran mir den Mantel und die Schuhe auszuziehen. Maddie lehnt sich ans Treppengeländer und beobachtet mich und Finn geht ohne ein weiteres Wort ins Wohnzimmer. Kurz darauf hört man den Fernseher.
"Tee?" Fragt Maddie. "Was war los?"
"Ach, Zoe hatte mal wieder einen Anfall von Eifersucht und meinte mich und Mutti anschreien zu müssen. Mutti war dann sauer auf mich, hat mir wieder dubiose vorwürfe an den Kopf geworfen und ich kann nicht mehr!"
Aus dem Wohnzimmer kommen nur unqualifizierte Kommentare. Ich muss dem Bedürfniss widerstehen zu ihm zu gehen und meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen. Zu lange schon habe ich das Verlangen von ihm umarmt zu werden. Ich sehne mich immer mehr danach. Aber ich darf nicht. Er ist der große Bruder meiner besten Freundin. Maddie würde mir den Kopf abreißen und ihm auch. Außerdem gibt er mir jedes Mal zu verstehen, dass er mich nicht leiden kann. Und trotzdem. Jedes Mal wenn ich ihn sehe werde ich rot. Ich stammle wirres Zeug und versuche mir nicht anmerken zu lassen was in mir vorgeht.
"Lola? Welchen Tee?" Maddie schaut mich besorgt an. Ich stehe an den Türrahmen der Küche gelehnt und bin gedanklich bei ihm auf dem Sofa.
"Sorry. Wie immer bitte. Wo sind Julia und Jonas?"
Ich habe ihre Eltern noch nicht gesehen. Ich weiß auch nicht wie ich ihnen das erklären soll, dass ich schon wieder von zuhause abgehauen bin. Aber das krieg ichs schon irgendwie hin, ich habe ja Maddie.
"Die sind ins Theater gefahren, wir erklären ihnen das morgen, okay? Heute Abend brauchst du Ruhe!"
Wir trinken unseren Tee in der Küche und unterhalten uns über alles Mögliche. Über ihren Schwarm, meinen Ex, ihre neue Schule, reiten und Basketball. Aus dem Wohnzimmer hört man nur noch den Fernseher, entweder Finn ist eingeschlafen oder er hat mal nichts an dem Fernsehprogramm auszusetzen.

Irgendwann gehen wir hoch und pusten mein Bett für die nächsten Nächte auf. Maddie macht mir eine DVD an und erklärt, sie müsse dringen duschen und lässt mich alleine.
Keine 2 Minuten später kommt Finn die Treppe rauf und geht in sein Zimmer, welches genau gegenüber von Maddies Zimmer liegt. Als ich in den Sommerferien hier war, kam er jedes Mal ins Zimmer, wenn er wusste, dass ich alleine war.
Jetzt wünsche ich es mir umso mehr. Aber auch nach 5 Minuten kommt niemand rüber. Mein Handy vibriert.

P: Hast du schon mit ihm gesprochen?
L: Nein, hatte noch keine Gelegenheit...
P: Und jetzt?
L: Maddie ist gerade duschen und er sitzt in seinem Zimmer...
P. Dann nichts wie los! Beweg deinen süßen Po rüber zu ihm!
L: und was ist wenn er nicht so fühlt wie ich? Was ist wenn er mich auslacht, rausschickt und alles seinen Eltern erzählt?

Ich weiß nicht was ich machen soll. Auf der Zugfahrt habe ich Pheobe versprochen mit ihm zu reden. Ich bin so aufgeregt, dass mir wieder schlecht wird. Dieser Typ ist echt die beste Diät.
Ich stehe langsam auf und gehe zur Tür. Ich rede mir ein, dass ich ihm einfach sagen könnte, mir wäre Langweilig (was ja auch stimmt). Ich laufe ganz vorsichtig und leise über denFlur, auch wenn es nur wenige Meter sind, kommt es mir vor wie ein Gewaltmarsch. Kurz vor seiner Zimmertür will ich schon wieder umdrehen, aber da vibriert mein Handy.

P: Wehe du drehst vor seiner Tür wieder um! Du musst da jetzt durch! Vergiss das anklopfen nicht...

Pheobe...ich muss grinsen. Manchmal glaube ich sie verfolgt mich auf Schritt und Tritt und kennt mich besser als ich mich selbst.
Ich atme tief durch, spreche mir selbst Mut zu und klopfe leicht an die Tür. Von innen ist nur ein tiefes "Mhh" zu hören.
Mit zitternder Hand drücke ich die Türklinke herrunter.
Er liegt auf seinem Sofa und schaut ein Basketballspiel. An seiner Wand hängen Plakate von großen Basketballstars und in seinem Regal liegt ein Basketball. Er schaut mich verdutzt an.
"Hi", sage ich. "darf ich rein kommen?"
"Klar, was gibts?"
Ich schließe die Tür hinter mir, bleibe aber sicherheitshalber davor stehen. Er setzt sich auf und deutet mir mich neben ihn zu setzen. Ich gehe die paar Schritte zum Sofa mit zittrigen Beinen und lasse mich auf das graue Polster plumpsen.
Ich sitze keine 40cm von ihm enfernt. Er schaut mich erwartungsvoll an. Nicht böse, genervt oder angeekelt, sondern fast liebevoll. Wie ein großer Bruder. Er ist ja auch fast ein großer Bruder für mich. Ich kenne ihn schon zu lange. Und schon wieder rebelliert das schlechte Gewissen in meinem Magen.
"Redest du auch noch mit mir oder bist du gekommen um mich anzuschweigen?"
Ich schüttle den Kopf und sehe ihn an. "Mir war Langweilig" sage ich mich einem entschuldigenden Gesichtsausdruck.
"Wo ist denn Maddie?" Er klingt nicht böse oder auch nur annähernd so wie ich es jetzt erwartet hätte. Er ist sogar eigentlich richtig nett. "Maddie ist duschen, ihr Rücken tut weh vom reiten."
Ich versuche ihn nicht anzuschauen, weil ich mich sonst in seinen Augen verliere. Ich schaue auf den Fernseher. Basketball war schon immer seine große Leidenschaft. Mittlerweile ist es auch meine (aber eher durch Zufall und nicht nur wegen ihm).
"Lola?" Ich drehe verdutzt den Kopf in seine Richtung. "Warum bist du hier?"
"Ich hab Stress zuhause, das weißt du doch." "Ja, aber warum bist du wirklich hier?"
Was? Wieso fragt er das. Kennt er mich so gut, dass er weiß, das es nicht daran liegt oder will er mich provozieren. Ich kaue auf meiner Unterlippe und überlege was ich ihm antworten soll.
"Ich habe mich mit Zoe gestritten und dann auch mit Mama. Ich hab es zuhause nicht mehr ausgehalten." "Lola, du verstehst mich nicht." Nein das tue ich wirklich nicht, was will er von mir hören?
"Warum sitzt du hier?" "Du hast doch so auf den Platz gezeigt, als wolltest du, dass ich mich neben dich setze!" Ich weiß worauf er hinaus will, aber jetzt lasse ich ihn noch zappeln. "Lola, streng deinen süßen Kopf an. Warum bist du zu mir ins Zimmer gekommen? Du bleibst sonst doch auch immer drüben..." "Soll ich wieder gehen?"
Ich will vom Sofa aufstehen, aber seine Hände greifen nach meinen Handgelenken und geben mir nicht die Möglichkeit. "Nein, geh nicht. Maddie ist doch noch duschen." Jetzt ist sein Gesicht meinem gefährlich nah. Sein Duft steigt mir in die Nase und ich muss mich zusammenreißen nicht die Augen zu schließen.
"Okay, ich bleibe. Aber nur wenn ich dich nicht nerve." "Nein, du nervst nicht. Wie kommst du denn darauf?" Er schaut mich mit seinen hellblauen Augen verdutzt an.

"Na, normalerweise gibst du mir immer zu verstehen ich würde dich nerven. Und sagst es auch immer." "Oh, naja..." Er druckst komisch herum, weicht meinem Blick aus, aber er lehnt sich nicht zurück. Hält meine Handgelenke immer noch fest.
Meine Handgelenke brennen, da wo er mich berührt. Seine Hände sind warm, weich und kräftig. "Lola, du nervst nicht." "Okay" hauche ich. Wenn er sich nicht schnell wieder zurücklehnt schließe ich die Augen. Aber er macht keine Anstalten sich irgendwie zu bewegen. Er sitzt ganz ruhig neben mir und hält meine Handgelenke fest, als würde ich jeden Moment abhauen. Dabei habe ich das garnicht vor. Ich genieße jede Sekunde seiner Berührung, auch wenn sie irgendwie komisch ist. Und die Hoffnung, dass er auch nur ansatzweise etwas für mich empfindet wächst Sekunde für Sekunde mehr. Bitte lass diesen Moment niemals enden.

Auf einmal hüpft jemand die Treppe hoch. Finn scheint es nicht bemerkt zu haben, denn er lässt mich immer noch nicht los. Naja, vielleicht habe ich es mir auch einfach nur eingebildet. Ich bin gerade am überlegen, wie lange wir hier noch so sitzen sollen, da dreht er sich noch mehr zu mir und raunt in mein Ohr "Lola, ich..." Und genau in dem Moment wird seine Zimmertür aufgestoßen. Maddie schaut uns verdutzt an. Schnell lässt Finn meine Handgelenke los und rückt von mir ab. Ich suche in meinen Gedanken nach einer schnellen glaubwürdigen Ausrede aber so schnell will mir nichts einfallen. "Was macht ihr da?" Maddie grinst belustigt. Finn sieht etwas zermalmt aus und ich versuche nicht rot anzulaufen. "Wir haben etwas wichtiges besprochen..." sagt Finn schnell. "Achso, was denn? Was gibt es denn so wichtiges?" Maddie schaut uns nun wirklich neugierig an. "Du hast doch bald Geburtstag, Mads." "Oh, also eine Geburtstagsüberraschung? Toll. Was plant ihr, wen wollt ihr einladen? Wird es eine Mottoparty?" "Maddie, das soll doch eine Überrraschung werden. Das wird es aber nicht, wenn du uns ein Loch in den Bauch fragst und wir dir alles vorher verraten!" Nun lüge auch ich sie an, das tut weh. Aber irgendwie ist es lustig wie aufgekratzt Maddie jetzt ist. "Schade." Sie schaut bedrückt auf ihre Füße. Ich muss grinsen. Sie weiß genau, dass Finn diesem Blick von ihr nicht standhalten kann und gleich klein bei geben wird. Ich muss das irgendwie verhindern. Aber wie? Plötzlich ertönt das Knallen einer Sektflasche die gerade geöffnet wird. Maddies Nachrichtenton. Sie schaut schnell auf ihr Handy, grinst und läuft rot an. Bevor ich überhaupt begreife was gerade passiert, hechtet sie durchs Zimmer, greift meinen Arm, reißt mich vom Sofa und zieht mich in ihr Zimmer. Ich kann Finn noch einen kurzen Blick zuwerfen, dann stolpere ich auch schon auf meine Matratze.







Eine Geschichte, die von verbotenen Gefühlen erzählt.
Fortsetzung folgt...

LG Lena

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